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Styx Styx ist männlich
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Daumen hoch! Solaris       Zum Anfang der Seite springen

Jeder kennt "Dinge, die er schon immer mal machen wollte, aber nie Zeit dafür hatte". Darunter zählen Sachen wie aufräumen, der Freundin eine Rose schenken oder das Rauchen aufzugeben. Da ich nichtrauchender Single mit aufgeräumter Wohnung bin, zählt zu den Dingen, die ich schon immer mal machen wollte, das Lesen des berühmten Romans "Solaris" vom polnischen Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem aus dem Jahr 1961. Aufgrund eines Umzuges (deshalb auch die aufgeräumte Wohnung, denn ich wohne noch nicht lang genug in ihr, um Unordnung zu schaffen) hatte ich weder Fernsehen noch Internet und wurde somit nicht durch diese modernen Errungenschaften von meinem Vorhaben ein Buch zu lesen abgehalten – zum Glück!

Die Handlung des Romans enthält im Wesentlichen zwei Ebenen. Die erste Ebene beinhaltet die Wissenschaft um den Planeten "Solaris": In einer fernen Zukunft haben die Menschen angefangen Planeten zu bereisen und zu untersuchen. Ihr vorrangiges Ziel ist es außerirdisches Leben zu finden, was ihnen aber bisher nicht gelungen ist. Dann wird der Planet Solaris entdeckt, der eine kosmische Besonderheit darstellt. Es ist ein Planet in einem Zwillingssonnensystem. Die Wissenschaftler gingen bis dahin davon aus, dass solche Planeten kein Leben beherbergen können, da die Umlaufbahn eines solchen Planeten nicht stabil sei und somit die Voraussetzung für die Entstehung von Leben nicht gegeben ist. Solaris zeigt allerdings eine bemerkenswerte Besonderheit: nämlich eine stabile Umlaufbahn. Diese wird – so die Theorie – von Solaris’ einzigem Bewohner, einem gigantischen Ozean aus Plasma, der fast die gesamte Planetenoberfläche bedeckt, so beeinflusst, dass sie stabil bleibt. Dass dieses Plasma "lebt" ist unstrittig. Wie es die Umlaufbahn des Planeten beeinflussen kann und warum es ständig bizarre Gebilde formt und viele Fragen mehr werden von einem eigens geschaffenen Zweig der Wissenschaft, der so genannten "Solaristik", untersucht.

Die zweite Ebene ist die Geschichte des Psychologen Kris Kelvin, der auf Wunsch seines Freundes Dr. Gibarian auf den Planeten Solaris kommt, um merkwürdige Vorgänge auf der Raumstation zu untersuchen. Dort trifft er auf den sehr nervösen Dr. Snaut, von dem er erfährt, dass Gibarian inzwischen tot ist – angeblich Selbstmord. Außer Snaut befindet sich noch eine weitere Person an Board der Raumstation von Solaris: ein gewisser Dr. Sartorius, der ebenfalls vollkommen verstört zu sein scheint. Von beiden bekommt Kelvin kaum brauchbare Informationen über die Vorgänge auf Solaris. Als Kelvin dann eines morgens aufwacht sitzt seine vor vielen Jahren verstorbene Frau Harey, die er sehr geliebt hat, vor ihm. Sie ist keine Einbildung sondern Realität, aber sie scheint nicht wirklich ein Mensch zu sein, sondern nur die Fleisch gewordene Erinnerung an seine Frau. So hat Harey auch ein Nachthemd an und man erkennt an ihrem linken Arm noch die Einstiche der Nadel, die sich Harey gesetzt hatte, um sich nach einem Streit mit Kelvin das Leben zu nehmen. So hatte er sie zum letzten Mal gesehen. Kelvin erfährt dann, dass jede Person an Board einen solchen "Gast" hat. Die Gäste sind offensichtlich Abbildungen der jeweils stärksten Erinnerung und sie scheinen unsterblich zu sein. Kelvin schickt "die erste Version" seiner Frau per Raumkapsel in die Umlaufbahn, um am nächsten Morgen wieder neben ihr aufzuwachen. Schwierig wird die Sache vor allem, als Kelvin merkt, dass seine Frau keine Sekunde ohne ihn sein kann und selbst dicke Stahltüren sie nicht aufhalten. Während allerdings vor allem Sartorius versucht sich seines "Gastes" zu entledigen, baut Kelvin mehr und mehr eine persönliche Beziehung zu Harey auf und genießt es, sie wieder bei sich zu haben – wobei sich Zweifel an der Beziehung zu ihr nie ganz auswischen lassen. Harey selbst begreift irgendwann, dass sie nicht die ist, die sie zu sein glaubte. Sartorius findet eine technische Möglichkeit die "Gäste" zu zerstören und es beginnt eine Diskussion darüber, ob die Technik probiert werden sollte oder nicht….

Stanislaw Lem gilt als einer der bedeutendsten Science-Fiction-Autoren des 20. Jahrhunderts. Er hat nie Science-Fiction zum Selbstzweck geschrieben, sondern hat immer die Ängste und Gefühle der Menschen zum Thema seiner Geschichten gemacht. Es geht um grundlegende ethische Fragen über Sinn und Unsinn von wissenschaftlichen Theorien und deren Entwicklung bei gleichzeitiger Kritik der einseitigen Sichtweise der Menschen, die auf der Suche nach ihrem „Abbild“ sind. In "Solaris" gibt es den Organismus, der nur schlicht "Ozean" genannt wird. Dieser scheint die Gäste aus den Erinnerungen der Menschen zu formen. Warum er dies tut ist eine zentrale Frage des Buches. Es scheint so, als hätte der Ozean, der im Zentrum der solaristischen Untersuchungen steht, seinerseits angefangen die Menschen zu testen. Es werden aber auch Theorien aufgestellt, ob der Ozean versucht den Menschen eine Freude zu machen oder ob er versucht ihnen zu schaden. Seine wahren Motive bleiben allerdings im Dunkeln, da eine Kommunikation mit dem Ozean unmöglich zu sein scheint.
Die direkte Konfrontation der Besatzungsmitglieder mit ihrer stärksten Erinnerung ist zugleich eine Konfrontation mit ihren stärksten Gefühlen. Die Tatsache, dass diese "Gäste" auch keine Sekunde von "ihrem Menschen" weichen wollen, verursacht bei den "echten Menschen" zuweilen geradezu panische Angstzustände und Psychosen. Dabei ist aber besonders auffällig, dass niemand dem anderen "seinen Gast" zeigen möchte, denn das würde einer Bloßstellung der eigenen Gefühle und Vergangenheit gleich kommen und jeder hat "Leichen im Keller", die er lieber für sich behalten möchte.

Lem gehört zu jenen Autoren, die auf Action und Weltraumballerei, wie sie im Science-Fiction-Genre so gerne dargestellt werden, verzichten. Seine Erzählweise ist ruhig aber gleichzeitig fesselnd. Die Beschreibungen der durch die beiden Sonnen mal rot mal blau gefärbten Planetenoberfläche mit seinen bizarren Formen ist grandios. Ich kann der US-amerikanischen Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin nur beipflichten, als sie im Vorwort des Buches sagte, dass Lem "ein unverschämt guter Erzähler" ist, "der alle Tricks nutzt, dem Leser Informationen vorzuenthalten und zu offenbaren, um ihn in Spannung zu halten." Sie vergleicht Lem außerdem aufgrund seines Ideenreichtums mit Jules Verne und aufgrund seines Spürsinns für Neuerungen in der Wissenschaft mit H. G. Wells. Seine Erzählweise ist in der Tat enorm, denn er schafft es, eine komplexe Handlung, die eigentlich nur in "geistiger Form" vorhanden ist, spannend darzustellen. Von wie vielen Autoren kann behauptet werden, dass sie sprachliche Brillanz und höchst innovative Geschichten verbinden können? Die Liste ist äußerst übersichtlich.

Auch wenn dies sicherlich nicht mein Lieblingsbuch werden wird, denn dafür fehlte es mir persönlich dann doch etwas an kriminalistischer Spannung, ist Solaris ohne Zweifel das Werk eines Meisters seines Faches. Ich habe bisher nur ein weiteres Werk von Lem gelesen, nämlich das kleine Buch "Test", was von einem Wettflug zum Mond handelt und äußerst spannend geschrieben ist. Ich kann es nur jedem ans Herz legen. Weitere berühmte Romane von Lem sind "Der Unbesiegbare" und "Eden". Diese werden definitiv in Kürze mein Bücherregal bevölkern.

Es gibt übrigens gleich zwei Verfilmungen von Solaris, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehe. Aber gleich vorweg: Möglichst erst das Buch lesen, es lohnt sich!

Das Buch ist im List-Verlag als Taschenbuch für 7,95 € erschienen. Es hat knapp 300 Seiten.

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08.09.2007 16:04 Styx ist offline E-Mail an Styx senden Beiträge von Styx suchen
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